ERAS: Op­ti­mier­te Ge­ne­sung nach chir­ur­gi­schen Ein­grif­fen

Dr. med. Fabio Nocera, PD Dr. med. Daniel C. Steinemann
23. September 2025
Nach ei­ner Ope­ra­ti­on schnel­ler wie­der auf den Bei­nen zu sein – das wün­schen sich vie­le Pa­ti­en­tin­nen und Pa­ti­en­ten. Mit dem Kon­ze­pt ERAS («En­han­ced Re­co­very Af­ter Sur­ge­ry») ist die­ses Ziel nicht nur er­reich­bar, son­dern me­di­zi­nisch fun­diert und in­ter­pro­fes­sio­nell be­glei­tet. 

Das ERAS-Programm beruht auf einer engen Zusammenarbeit zwischen Patient/innen, Ärzt/innen, Pflegefachpersonen, Physiotherapeut/innen und weiteren Fachpersonen. Standardisierte Abläufe und eine klare Kommunikation sind entscheidend für den Erfolg. Auch am Claraspital wird ERAS zunehmend in verschiedenen viszeralchirurgischen Fachbereichen umgesetzt – mit grossem Erfolg.

Was ist ERAS?

ERAS ist ein evidenzbasiertes Behandlungskonzept, das den Genesungsprozess nach operativen Eingriffen optimieren soll. Das Konzept wurde in den 1990er-Jahren in Skandinavien entwickelt und umfasst standardisierte Massnahmen vor, während und nach einer Operation (1,2). 

Im Zentrum steht der Gedanke, den Körper so wenig wie möglich aus dem Gleichgewicht zu bringen, die Regenerationsfähigkeit optimal zu unterstützen und die Selbstständigkeit des Patienten oder der Patientin zu erhalten.

Das Herzstück von ERAS ist nicht eine einzelne Massnahme, sondern die gezielte Kombination vieler sich ergänzender Schritte - von der sorgfältigen Vorbereitung und der individuellen Risikoeinschätzung über schonende chirurgische Verfahren und optimierte Anästhesie bis hin zu einer aktiven frühzeitigen Mobilisation nach dem Eingriff.

Claraspital News ERAS
  • Bereits vor dem Spitaleintritt beginnt die Umsetzung von ERAS. Patient/innen werden in enger Begleitung einer spezialisierten ERAS-Pflegefachperson (ERAS-Nurse) umfassend informiert und motiviert, aktiv an ihrer Erholung beziehungsweise ihrer Rehabilitation mitzuwirken. Am Claraspital betreuen zwei ERAS Nurses die Patient/innen und fungieren als konstante Bezugsperson während des gesamten Behandlungsprozess. Ihre Rolle ist entscheidend: Sie sorgen für eine klare Kommunikation, überprüfen tägliche die Fortschritte, begleiten die Umsetzung der Kernmassnahmen und stärken durch ihre stete Präsenz das Vertrauen der Patient/innen. Dies trägt nicht nur wesentlich zum medizinischen Erfolg bei, sondern steigert auch die Patientenzufriedenheit.
  • Ernährungsstatus und körperliche Fitness werden, falls erforderlich, gezielt mit einer Prähabilitation und einer energie- und einweissreichen Ernährungstherapie verbessert. Während bislang ein stundenlanges Nüchternbleiben vor Operationen üblich war, zeigt die moderne Evidenz, dass dies den Organismus unnötig schwächt. Deshalb dürfen viele Patient/innen nun bis wenige Stunden vor der Operation klare Flüssigkeiten trinken und nach dem Eingriff frühzeitig wieder essen.
  • Ein weiteres zentrales Element ist die Minimierung von Schmerzen und Stress. Angepasste Narkoseverfahren, gezielt Schmerzbehandlung und der Verzicht auf stark sedierende Medikamente helfen dabei, den Organismus zu schonen und früh mobil zu sein. Während der Operation wird der Flüssigkeitshaushalt restriktiv gesteuert, auf eine übermässige Gabe von Opiaten verzichtet und wenn möglich eine minimalinvasive operative Technik eingesetzt (4,5).
  • Postoperativ steht die schnelle Wiederaufnahme der normalen Körperfunktionen im Mittelpunkt: Der Verzicht auf unnötige Drainagen und Katheter, frühes Aufstehen und Bewegung, gezieltes Atemtraining sowie die rasche Rückkehr zur normalen Ernährung tragen entscheidend dazu bei, Komplikationen vorzubeugen und den Genesungsprozess zu beschleunigen (6).
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Eine Stu­die zei­gt die Wirk­sam­keit von ERAS

Eine am Claraspital und am Universitätsspital Basel durchgeführte Studie verdeutlicht den Nutzen des Konzepts. Die Analyse von 456 Patient/innen, die sich einem kolorektalen Eingriff unterzogen, hat gezeigt, dass ERAS selbst in einer hochspezialisierten Klinik mit modernsten chirurgischen und anästhesiologischen Standards deutliche Verbesserungen bewirkt.

Die durchschnittliche Spitalaufenthaltsdauer verkürzte sich um 3,5 Tage. Nicht-chirurgische Komplikationen wie Harnwegsinfekte, Lungenentzündungen oder organische Psychosyndrome (Delir) traten signifikant seltener auf. Auch wirtschaftlich zeigte sich ein klarer Vorteil: Die durchschnittlichen Fallkosten waren rund 15% niedriger. Besonders bemerkenswert war, dass 74% der Patient/innen im ERAS-Programm die für ihren Eingriff optimale Aufenthaltsdauer gemäss SwissDRG erreichten, verglichen mit 43% der Patient/innen im Nicht-ERAS-Programm (7).

Kon­se­quen­te Um­set­zung des Pro­gram­ms ist ent­schei­dend

Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der konsequenten Umsetzung des gesamten Massnahmenbündels. Die Studie zeigt ausserdem, dass eine hohe Adhärenz entscheidend ist, also die konsequente Mitarbeit der Patient/innen bei den gemeinsam vereinbarten Therapieempfehlungen: Patient/innen, bei denen mindestens 16 der 18 definierten Kernmassnahmen umgesetzt wurden, hatten weniger Komplikationen und eine kürzere Liegedauer. Die Betreuung durch die spezialisierte ERAS-Pflegefachperson, die täglich die Fortschritte überprüft und die Patient/innen einbindet, spielt dabei eine zentrale Rolle.

Dennoch gibt es Herausforderungen. Bei älteren oder Patient/innen mit mehreren Erkrankungen wird das Protokoll teilweise weniger konsequent umgesetzt. Auch setzt die frühzeitige Entlassung eine verlässliche postoperative Betreuung voraus, um Wiedereinweisungen zu vermeiden. Unsere Erfahrung macht deutlich, dass ERAS nicht nur eine Sammlung von Einzelmassnahmen ist, sondern einen Kulturwandel in der perioperativen Versorgung darstellt. Es erfordert interprofessionelle Zusammenarbeit, kontinuierliche Schulung aller Beteiligten und eine klare Kommunikation an die Patient/innen.

Der Blick in die Zukunft zeigt, dass ERAS weiter an Bedeutung gewinnen wird. Digitale Anwendungen könnten die Patientenvorbereitungen und -betreuung zusätzlich unterstützen, personalisierte Ernährungsstrategien und neue multimodale Schmerztherapien könnten den Genesungsprozess weiter optimieren. Ziel bleibt es, Patient/innen nach einer Operation schneller, sicherer und nachhaltiger in ihr gewohntes Leben zurückzubringen - und gleichzeitig den gesamten Behandlungsprozess so angenehm und effizient wie möglich zu gestalten.

 

Referenzen 

  1. Fearon, K. C. H. et al. Enhanced recovery after surgery: a consensus review of clinical care for patients undergoing colonic resection. Clin. Nutr. 24, 466–477 (2005).
  2. Kehlet, H. & Wilmore, D. W. Multimodal strategies to improve surgical outcome. Am. J. Surg. 183, 630–641 (2002).
  3. Forsmo, H. M. et al. Compliance with enhanced recovery after surgery criteria and preoperative and postoperative counselling reduces length of hospital stay in colorectal surgery: results of a randomized controlled trial. Colorectal Dis. 18, 603–611 (2016).
  4. Greco, M. et al. Enhanced recovery program in colorectal surgery: a meta-analysis of randomized controlled trials. World J. Surg. 38, 1531–1541 (2014).
  5. Ni, X., Jia, D., Chen, Y., Wang, L. & Suo, J. Is the enhanced recovery after surgery (ERAS) program effective and safe in laparoscopic colorectal cancer surgery? A meta-analysis of randomized controlled trials. J. Gastrointest. Surg. 23, 1502–1512 (2019).
  6. Aarts, M.-A. et al. Adoption of enhanced recovery after surgery (ERAS) strategies for colorectal surgery at academic teaching hospitals and impact on total length of hospital stay. Surg. Endosc. 26, 442–450 (2012).
  7. Süsstrunk, J. et al. Enhanced recovery after surgery (ERAS) in colorectal surgery: implementation is still beneficial despite modern surgical and anesthetic care. Langenbecks Arch. Surg. 409, 5 (2023).
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